Mittwoch, April 19, 2006

Geschätzte Lehrerschaft!
Die Schule geht wie gewohnt seinen Gang, einen schweren, behäbigen, aber steten Gang. Üblich für konservative Privatschulen möchte man meinen.
Schon wehren sich die ersten! "Konservativ? Nein! Wir sind liberal, aufgeschlossen allem Neuen - aber vorallem nicht konservativ!"

Doch lassen sie mich fortfahren. Ich gehe nicht nur auf eine konservative Privatschule, (dass diese Schule hier "Privat" ist [bei einer öffentlichen Finanzierung von 93% doch eigentlich eine Farce] wird ja von vielen auch als besonders wichtig erachtet!) sondern sogar auf eine katholische. Und genau da liegt mein Problem, mein Anliegen, meine noch vorgeschobene Bitte.

Ich war vor einigen Wochen in der misslichen Lage, meinen Zwangsbogen, eine "Wahl" wage ich es nicht zu nennen, zu bestätigen und war bislang der Ansicht, dass meine Unzufriedenheit allein auf das Landessystem zurückzuführen sei. Nun. Es ist nicht so. Sie, also diejenigen Lehrer, die mich entweder nicht kennen oder nicht kennen wollen, müssen dazu wissen, dass ich ein Schüler mit geisteswissenschaftlichen Interessen bin. Doch diesen Interessen werden an dieser Schule, einer konservativen, katholischen Privatschule, Steine in den Weg gelegt, die meiner Meinung nach bloße Relikte einer längst überfälligen Religiösität, die höchstens von den Nonnen, den netten Nachbarn der Schule, noch ernsthaft erhalten werden. Ich möchte mich klar ausdrücken, um jedweden Missverständnissen aufgrund unverständlicher Formulierungen vorzubeugen oder gar einem sich diesem Brief von grundauf widerstrebenden und widersetzenden Geist keine Missinterpretationen dieses Textes zu ermöglichen.
Es soll nur ein Satz sein, der sowohl das Problem, als auch mein Anliegen, als auch meine nun nicht mehr vorgeschobene Bitte erläutert. Er soll nicht erklären, er soll klären:

Es ist Zeit, das Relikt der Pflichtwahl der Religionswissenschaften abzulegen!

Empörung. Getuschel und Gerede. Sicher hat meine Forderung im Kollegium viele Gegner (nicht zuletzt die, die dadurch ihren Job gefährdet sehen, da die zu unterrichtenden Religionsstunden stark abnehmen werden [bedenken sie, sie sind Beamte!]), doch einige, vielleicht sogar wenige, vielleicht keiner, steht auf meiner Seite. Aber fragen sie mal in der Schülerschaft herum. Nicht in der Schülervertretung! Die, die da sitzen, sind von uns gewählt, richtig. Aber wie? in der Unterstufe ist es eher Zufall oder einer meldet sich freiwillig, in der Mittelstufe das gleiche. Und die Oberstufe? Deren Stufensprecher wären die einzigen, die wirklich was verändern könnten, wenn sie denn wollten.

Genug Geplänkel: die ersten ihrer Zunft werden sich fragen, was das soll. Ich will es ihnen aufschlüsseln:
Ich finde, die Geisteswissenschaften an dieser Schule kommen zu kurz, nicht zuletzt durch den besagten Religionszwang. Einige Lehrer sowie die Schulleitung halten diesen Zwang für gerechtfertigt. Gerechtfertigt um "das Profil der Schule" zu erhalten. Denn schließlich sind wir nicht irgendeine Schule, sondern eine konservative, katholische Privatschule! Und wer auf diese Schule gehen will, der soll dann auch bitteschön damit rechnen, in der Oberstufe in ein religiöses Korsett gesteckt zu werden. (aber wer entscheidet sich in der 4. Klasse schon bewusst dafür, dass er bis zur 12 Religion haben wird?) Wir sind im Vest Recklinghausen bekannt für ein gutes Schüler-Lehrer Verhältnis und das hohe Niveau. Viele Schüler, aber auch Lehrer meinen sich darauf etwas einbilden zu können. Aber was für eine Meinung hätten andere Menschen von unserer Schule, wenn sie erführen, dass die Schulleitung dem Wunsch der Schüler stattgegeben und somit die alten Traditionen dem Verlangen und dem Entfaltungswillen der Schülerschaft nachgestellt hat? "Eine fortschrittliche Schule", "altes Gemäuer - moderne Pädagogik" würden sie schreien.

Die Religionslehrer, die jetzt einwenden mögen, dass in der 12. sowieso Religionskritik und somit den Schülern ein angenehmes Thema (das spricht doch Bände, nicht wahr?) besprochen wird. Doch was ist da mit denen, die lieber eine andere Kombination genommen hätten? Die werden außer Acht gelassen.

Was wäre das also für ein großer Einschnitt in der Erziehung der St. Ursula Schule? Warum nicht mal Neues wagen? Denken sie wenigstens nach. Doch, in bewährter Tradition, wird jeder neue Denkanstoß im Nichts erstickend verhallen. Vielleicht nimmt sich einer meiner Meinung an und lässt es nicht im Staub des Alltags untergehen.

Sapere aude!

Hk