Sonntag, Oktober 16, 2005

...denn irgendwann, wenn es still um uns zu werden droht, kommt der Moment, vor dem wir uns ein Leben lang fürchteten; in dem wir uns fragen müssen, was wir geschafft haben. Was wir geschafft haben, in unserem Leben, in unserer Zeit auf der Erde. Was wir erreichen wollten, in unserem jugendlichen Leichtsinn und später in unserer abgeklärten Zeit. Was davon übrig blieb und was nicht erreicht wurde. Warum uns immer etwas unsere so klaren und geklärten Pläne kreuzte und uns wieder durch einen kräftigen Windstoß in eine andere Richtung wehte. Und dennoch ist dieser Moment meist voller Ernüchterung und Angst geprägt. Ungewissheit. Was wird passieren? Werden wir einen Gott sehen, der uns richtet? Werden wir wiedergeboren? Was wird mit uns geschehen? Dann schauen wir uns um. Die ganze Verwandschaft glotzt uns mit ihren gierigen, erbarmungslosen Augen an. Tante 2. Grades, nie gesehen, nie gekannt. Plötzlich steht sie am Bett und riecht schnelles Geld. Daneben die Tochter, ach, wie hat sie sich die letzten Wochen um einen gekümmert, war da und hat geputzt, gekocht und jetzt steht sie am Totenbett, weint sich die Augen aus, weil die anderen da sind und es unterschwellig es von ihr verlangen. Sie ist eine starke Frau, sie hat immer mit Verstand gedacht. Mensch, sie war schon als kleines Kind beflissener als ich. Und jetzt weint sie. Wegen mir? Oder wegen meines Todes? Wegen der vielen Zeit, oder wegen der Kosten, die duch meiner Beerdigung entstehen werden? Sie können die Kosten mit meiner Lebensversicherung bezahlen, daran liegt es also offentsichtlich nicht. Weil es Weihanchten, an meinem Gebursttag und an Ostern dann keinen Besuch bei Uroma geben wird? Denkt sie in diesem Moment wirklich an ihre Enkel oder denkt sie im Endeffekt doch nur an sich? Ist es klar zu sagen, oder stelle ich nur dumme Vermutungen an? Ich sollte etwas sagen, etwas nettes, typisches. Klischeehaft, damit auch Tante Grad 3 zufrieden gehen kann. Wie gut, dass die kleinen nicht da sind, sie sollen mich nicht so sehen. Ich frage besser mal, wo meine Enkelin mit ihren Kindern ist. Ah, sie wartet draussen. Ich sollte mein Gesicht verzerren, damit ich etwas Aufmerksamkeit errege. Schau, es klappt. Mein Kissen. Auch neu. Fein fein. Wenn die dicke Berta schon hier rumsteht, kann sie sich auch nützlich machen und das Licht dämmen. Ach, schon schluchzen sie wieder, nur weil sie denken, dass ich bald abnippel. Dabei weinen sie ja auch nicht um mich. Sondern um mein Geld, was ich schon im Krieg zusammensparte. Ein großer Wurf in Zeiten von Ungewissheit und Angst. Und auch heute, wenn die Zeiten sich dem Schlechten hinwenden, habe ich es verteidigt. Und was ist der Schluss? Es wird zerfetzt wie von Aasgeiern das Aas. Eine Tragödie. Und schon wieder stürmt Margret raus. Soll sie sich nicht so aufspielen. Sie kannte mich ja nicht einmal. Und wo ist mein Sohn? Ich frage. Wo? Ach. In Berlin. Ja, daran hätte ich denken müssen, man vergisst aber auch schonmal was wenn man älter wird, das lässt sich nicht vermeiden. Hab ich das laut gesagt? Ach Hottenmist, jetzt schauen sie alle so verständnisvoll und lächeln über meine schusselige Art. Dabei haben sie nie eine andere von mir kennengelernt, und trotzdem schauen sie mich mitleidig an. Oh, ich werde geholt. Ich spüre es. Es kommt näher, wird kalt. Warm, hell. Ich will weg von hier. Ich komme. Und vorbei.

Sonntag, Oktober 09, 2005

Mein letzter Tag

Ich würde wahrscheinlich zuallererst allen den Personen danken, die wichtig sind; ich würde ihnen danken, dass sie all die Jahre für mich da waren, mir zugehört haben und mich so akzeptiert haben, wie ich bin.

Ich würde meine Herzenswünsche erfüllen, solange sie möglich sind und versuchen, so viel Zeit mit den mir wichtigen Personen zu verbringen. Aber wahrscheinlich bräuchte ich auch Zeit für mich. Ich könnte mich irgendwo hinsetzen, es würde regnen, warmer, schöner Regen würde mich treffen. Ich würde über mein Leben nachdenken und über das, was ich erreicht oder auch nicht erreicht habe.

Wahrscheinlich würde ich auch viel Unsinn machen, um nicht den ganzen Tag von dem Gedanken gequält zu werden, am nächsten Tag weg sein zu müssen. Ich würde einkaufen gehen, meinen Nordseetreuepass vervollständigen und angefangene Arbeiten erledigen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Dann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, um zu gehen, würde ich meine Freunde und Verwandte in den Arm nehmen und allein irgendwo im Feld mich hinlegen und den klaren Sternenhimmel beobachten und die Augen schließen und träumen.

Es wäre ein wundervoller Tag.

geschrieben im Januar diesen Jahres, TRO.